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Darmstädter Manifest

21.3.1996, Café Karin  kamillentee

Anwesend: Markus Halbe, Stefan Beck

Notizen:

 

Markus hat endlich auch das "Darmstädter Manifest", ein dünnes, fotokopiertes Blatt, erhalten. Es steht nichts erstaunliches drin, ausser, dass es am Ende eine fast vierseitige Unterschriftenliste gibt, die fast alle unterschrieben haben, die in der hessischen Kultur ein Rolle spielen. Die gibt vielleicht mehr her als das ganze Blatt.

Bemerkenswert ist hier vor allem, dass die Betonung auf "Kulturinstituttionen" liegt, keineswegs geht es um Künstler oder Kulturschaffende.

Kultur wird hier als Auftrag der "Kulturinstitutionen" verstanden, die offenbar von oben nach unten zu verbreiten hätten, was Kultur sei. Demnach ist nicht viel nötig bei den "Kulturinstitutionen", unter Voraussetzung des "bedeutenden Erbes der deutschen Kulturnation" versteht sich von selbst, ein bischen Haushaltsfreiheit für die Museen und Theater, modernes Management und weniger Befangenheit gegenüber Sponsoren aus der Industrie.

Und zuguterletzt könnte "man" auch noch das Erbschaftsrecht zugunsten kultureller Stiftungen abändern, damit die Albrechts, Oettkers, Boschs und Grundigs noch mehr Geld an der Steuer vorbei lotsen können. Aufregende Perspektiven für die Kultur.

 


Und hier kommt ein Text von Markus über das "manifest":

Kultur
jetzt neu auch als Kultur light
Das "Darmstädter Manifest zur Lage der Kulturinstitutionen"

Nicht nur Arbeitsmarkt und Sozialsystem sind in die Krise geraten, auch in der Kulturpolitik herrschen die Zeitgeistdämonen Geldmangel und Ideenlosigkeit.

Die Zeiten voller Kulturtöpfe und der Errichtung zahlreicher neuer Museen, exquisit ausgestatteter Theater- und Musikspielstätten, und etlicher neuer Bürgerhäuser für die Stadtteile, mit denen sich zwei Dekaden lang Politiker unterschiedlichster Couleur brüsteten, sind wohl endgültig vorbei.

Heute erscheint Kulturpolitik nur noch als Mangelverwaltung. Richtungsweisende neue Ansätze fehlen vollkommen, die sogenannten Kulturschaffenden rangeln wie andere auch um ein möglichst gutes Abschneiden im Kampf um die Verteilung fehlenden Geldes.

So ist es kein Wunder, das selbst die dümmlichste Forderung solange sie Abhilfe verspricht beinahe euphorisch von den Damen und Herren der Macherkaste gefeiert wird. So geschehen im März dieses Jahres, als das "Darmstädter Manifest zur Lage der Kulturinstitutionen" (im folgenden das "manifest", bitte Verzeihung und nicht mit dem wirklichen verwechseln...) das Licht dieser Welt erblickte.

Geschrieben im Dunstkreis der Darmstädter CDU, mit einer 46 Namen zählenden Erstunterzeichnerschaft. Darunter befinden sich die folgenden:

  • Jean Christophe Ammann, Direktor MMK
  • Cambreling, Oper FfM
  • Kasper König, Städelschulleiter
  • Busch, Kanzler Uni FfM
  • Tom Stromberg, Intendant TAT
  • Vitali, Direktor Haus der Kunst, München
  • Stolleis, Rechtsgelehrter, Uni FfM
  • Cathrine David, Leiterin documenta X, Kassel
  • sowie fast alle Leiter der Frankfurter, Darmstädter und Wiesbadener Museen, einige Politiker, u.a.

Innerhalb kürzester Zeit wurde das "manifest" zum Gesprächsstoff in Zeitungen, im Fernsehen und auf Diskussionsveranstaltungen, wo die Unterzeichnenden und ihre Anhängerschaft ständig auf die neue Wege eröffnende Dimension des Papiers hinweisen.

Was aber steht da bahnbrechendes drin? Ich nehme vorweg: Nichts. Trotzdem möchte ich auf die wenigen im "manifest" erwähnten Punkte kurz eingehen.

Die Zielrichtung des Papiers ist klar: Eine möglichst große öffentliche Wirkung und Zustimmung zu erreichen, was natürlich nur mit einer fetten Erstunterzeichnerschaft möglich ist. Bewußt wird auf eine Erläuterung, was man sich denn so vorstellt wozu die Kulturinstitutionen gut sind, was sie erreichen können und was nicht, verzichtet.

Statt dessen werden eifrig Platitüden verbreitet, so daß Jedermanns Bild von der Kultur ein bißchen getroffen wird und alle Positionen sich in dem Papier wiederfinden können. Dazu bekommen alle erstmal eingebleut warum denn nun "Kultur" so wichtig, förderungswürdig und gleichrangig anderen Politikfeldern von der "Sozialpolitik bis hin zur öffentliche Sicherheit und Ordnung" ist.

Das nämlich liegt an der "Kulturförderung als einem gesellschaftsbildenden Element. (...) Die Identität einer Nation, gerade auch die wiederzugewinnende Identität einer lange gespaltenen Nation macht Kultur zu einem unersetzlichen Faktor ihrer weiteren friedlichen Entwicklung. Die aufklärerisch-emanzipatorische Funktion von Kulturinstitutionen hat in einer - auch ihrer ökologischen Verantwortung sich bewußt werdenden - Industriegesellschaft an Bedeutung nichts eingebüßt. Im Gegenteil: Kunst und Kultur sind (...) ein grundsätzlich unverzichtbares Instrument der Phantasiebildung (...) "

" Jedermann der die Bundesrepublik Deutschland als Erbe eines großen Kulturgutes in der Verpflichtung zur Aufrechterhaltung und Fortentwicklung dieser Tradition sieht, muß Anstrengungen unternehmen, um für die Zukunft auf der Basis berechenbarer finanzieller Größen Perspektiven für Kulturschaffende und Kulturinstitutionen in der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln."

Da ist so ziemlich alles drin. Wir freuen uns über die eben erst wiedergewonnene nationale Identität, die das Weiterbestehen unseres großen Kulturgutes sichern wird. Ein Glück auch, daß die nationale Identität in den Kulturinstitutionen genügend Freiräume für aufklärerisch-emanzipatorische Positionen läßt, so daß die "Kultur" als kritisches Regulativ weit in die Gesellschaftsbildung eingreifen kann.

Und das, obwohl sich unsere Industriegesellschaft ihrer ökologischen Verantwortung längst bewußt geworden ist. Mit dem Text also kann wohl jeder Polit-Mogul im Lande, von schwarz-braun bis zur Ök-Fraktion was anfangen, Probleme mit Begriffen wie "Nationale Identität" bis "Erbe eines großen Kulturgutes" können beim hehren Anliegen des Papiers ja mal großzügig überlesen werden und ein besonderes Kapitel deutscher Geschichte ist ja eh seit Jahren aus den Köpfen der Leute verdrängt.

Also, prima gemacht, Kulturdefinition mehrheitsfähig, dann kann's losgehen mit den neuesten, tiefsinnigen Vorschlägen zur Rettung des deutschen Kulturerbes.

Kultur Light. Auch das "manifest" reiht sich ein in die Liste der Papiere, die sich zur Aufgabe machen, in Zeiten knapper Kassen um die eigenen Pfründe zu kämpfen. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich hier keine Vorschläge finden wie Kulturbetriebe (staatliche/kommunale), denn nur diese werden im Papier behandelt und leichtsinnigerweise als "Kultur" schlechthin tituliert, von Grund auf umgestaltet werden können.

Nein, die Unterzeichnenden fordern dazu auf, "in diesen Wettstreit ein(zu)treten und Überzeugungsarbeit dahingehend (zu) leisten, daß Kulturpolitik gleichrangig und gleichwertig mit allen anderen politischen Aufgaben ist."

Und zwar wegen der "...Verteilungskonflikte um die verbleibenden öffentlichen Mittel. Bei diesen Konflikten steht die Kulturpolitik im Wettkampf mit nahezu jedem anderen Politikfeld...".

Hier wird der Charakter des "manifest" - es geht um das Ausstechen anderer Politikfelder, wie die Sozialpolitik - ganz unverblümt offengelegt. In den Vorschlägen, wie denn nun der "Kultur" neues Leben eingehaucht werden könne tritt dies noch offener zutage.

Das "manifest" schlägt für die öffentlichen Kulturinstitutionen eine Kombination aus modernem Management und der Schaffung von Anreizen für Mäzene vor. Dies soll so aussehen, daß das Erbschaftssteuergesetz dahingehend geändert werden soll, daß Erben , die einen Teil ihres Erbes einer Kulturinstitution vermachen, dafür von der Erbschaftssteuer befreit werden. Mit anderen Worten soll nach dem Willen der Unterzeichnenden das Steuergeld, das bisher vom Staat als Verteilungsinstanz eingesackt wurde, vom jeweiligen Steuerzahler (in diesem Fall der Erbe) direkt in eine ihm genehme Bestimmung überführt werden.

Nicht mehr die gewählten Volksvertreter entscheiden nach einer mehr oder weniger klaren Prioritätenliste welche Gelder in welcher Höhe in welches Politikfeld einfließen. Dies soll in Zukunft der Willkür des Steuerzahlers überlassen werden.

Oder auch: Die letzte - wenn auch noch so mangelhafte - demokratische Instanz würde ausgeschaltet. Die Gewährleistung für das Funktionieren des öffentlichen Kulturbetriebs und letztlich auch dessen Ausgestaltung bleibt somit zu einem großen Teil in den Händen der Mäzene und in Abhängigkeit von ihrem Wohlwollen.

Produziert die "Kultur" nicht was der edle Spender hören und sehen will wird für die Zukunft der Geldhahn wohl abgedreht. Die Kulturinstitutionen sollen desweiteren die Möglichkeit bekommen Kapital zu akkumulieren (als Grundstock dienen die vererbten Beträge) und aus dessen Zinserträgen den laufenden Betrieb aufrechterhalten. Dies ist öffentlichen Trägern bisher nicht erlaubt. Das hört sich erst einmal gar nicht so schlecht an, doch steckt der Pferdefuß im Detail.

Die Verwaltung und Vermehrung des institutseigenen Kapitalstocks obliegt dann nämlich den neuen Museenherren, die neben der Liebe zur Kunst noch eine andere Eigenschaft mitbringen müssen, die Liebe zum Geld. Das "manifest" entscheidet sich für die Kulturbetriebe nämlich für "Methoden modernen Managements", da die bisherigen Formen der Betriebsführung ein "inakzeptables Kosten-Nutzen-Verhältnis" entstehen ließen.

Hier wird Kultur in ihrer institutionellen Form auf eine rein ökonomistische Funktion reduziert. Welchen ökonomischen Nutzen hat denn Kunst? Kann ein solcher Maßstab an Kultur überhaupt angelegt werden?

In den letzten 20 Jahren war von den Kosten der "Kultur" nie die Rede, dies verschweigt das "manifest" aber ebenso wie es außerstande ist, eine Kritik an der völlig unsinnigen Politik der Kultur als Standortfaktor und zur Repräsentation zu üben, wie sie gerade in Frankfurt, über die maßen und aufgesetzt wirkend, praktiziert wurde. Dabei ist gerade hier der Hebel der Kritik anzusetzen.

Kulturförderung von oben ("Kultur für alle", H. Hoffmann), wie sie unter dem damaligen Oberbürgermeister Wallmann und seinem Kulturdezernenten Hoffmann inszeniert wurde ist nicht nur teuer, sie geht auch am Ziel vorbei, da sie nicht die Grundlage zu schaffen imstande war, eine eigene Kultur in der Stadt zu initiieren.

Klar, daß im "manifest" die Idee des Sponsoring nicht fehlen darf. "Für Kulturinstitutionen muß es selbstverständlich werden, mit Wirtschaftsunternehmen (...) zusammenzuarbeiten. >Kultur-Sponsoring< ist kein Allheilmittel; es kann jedoch in vielen Einzelfällen zu einer Verbesserung der Situation für Künstler und kulturelle Institutionen führen. Diese Chance müssen alle Beteiligten wahrnehmen. Sicherzustellen ist, daß Kultursponsoring steuerlich genauso behandelt wird wie die Förderung in anderen Bereichen, z.B. dem Sport."

Welche Interessen Wirtschaftsunternehmen bei der "Förderung" von "Kultur" leiten dürften, braucht an dieser Stelle wohl nicht näher erläutert werden. Mir ist auch ziemlich egal, wenn Mercedes-Benz die Aufführung von Aida auf dem Messegelände sponsort, dann aber doch bitte schön lieber gleich die Konsequenzen ziehen und Einrichtungen wie die Alte Oper, wo wirklich Wahres, Schönes und Gutes geboten wird, der Deutschen Bank zum Kauf anbieten.

Unterm Strich machen die UnterzeichnerInnen des "manifest" alles falsch.

Der angekündigte Kampf gegen die anderen Politikbereiche ist nichts anderes als das Ergebnis der Suche nach dem leichtesten Weg. Der findet sich im Schulterschluß mit den Kapitalfraktionen zu Lasten der in der sozialen Hierarchie schlechter gestellten.

Die Gefahr die von der Verwirklichung der im "manifest" skizzierten Veränderungen ausgeht, und hier begreifen wir das "manifest" nur als Startschuß für eine ganze Reihe von Papieren, liegen vor allem im Abbau demokratischer Verfahren.

Die Künste würden den Kapitalfraktionen ausgeliefert und so ihrer (auch heute nur relativen) Freiheit beraubt.

Man kann zwar einem Museumsdirektor nicht vorwerfen, daß er keine Entwürfe zur Änderung des Steuerwesens oder gar die für die Revolution in der Tasche hat, dennoch sollten sich auch unsere Kulturmächtigen ein paar Gedanken machen, welche Papiere sie unterschreiben, und welche besser nicht, und nicht blindlings jedem Scharlatan auf den Leim gehen, so er nur schnelle Hilfe für die eigene Sache verspricht.

 


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