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Stefan Beck: Was heisst Kritik?

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Verschiedentlich ist in Bezug auf meine Kritiken der Vorwurf an mich herangetragen worden, ich urteilte "zu persönlich", nicht "objektiv" und "distanziert" genug. Wenn ich kritisierte, dann täte ich es aus einer Position der Befangenheit, des Kleinmuts oder sogar Mißgunst heraus.

Hier, denke ich, werden zwei Sachen miteinander vermischt. Vielleicht wird es deutlicher, wenn ich für die Invektive "Neider" erst einmal "Betroffener" einsetzte. Wer mir Neid vorwirft, erkennt zuersteinmal an, daß ich betroffen bin. Anders als ein offizieller Kunstkritiker schreibe ich aus der Position eines Betroffenen heraus.

Wenn ich über etwas schreibe, dann weil es mich um mehr angeht, als eine professionelle Leidenschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen. Für den Kritiker ist schlechte Kunst, ähnlich wie für die Kirche die Sünde, unvermeidlich, für mich ist sie Beunruhigung und manchmal auch Bedrohung.

Da ich von einer grundsätzlichen Willkür aller Maßstäbe im Kunstbereich ausgehe, sehe ich in für mich schlechten Kunstwerken eine gegen mich gerichtete Hervorhebung und Bevorzugung einer mir belanglosen Position. Das gilt allerdings nur insoweit als ich eine solche Arbeit auch als exemplarisch zu erkennen vermag.

Es gibt natürlich schlechte Kunstwerke in Massen, wie es auch schlechte Gebäude oder einfach nur Dreck auf der Straße gibt. Das muß mich nichts angehen, andere finden es vielleicht gut und nützlich.

Ich habe bisher nur da die Stimme erhoben, wo mir ein Vorgang besonders beispielhaft für eine allgemeine Stimmung oder allgemeinen Brauch oder landläufige Auffassung von den Dingen erschien.

Und ich schreibe in der Tat persönlich, weil a) ich kein Kunstkritiker bin, b) eben auch von meiner persönlichen Betroffenheit ausgehe - und das auch im negativen, ausschließenden Sinne, denn noch wird in der Kunst nicht das Los gezogen, sondern Entscheidungen werden von Personen unter persönlichen Kriterien gefällt, und c) weil ich nicht an die Metaphysik von "Objektivität" und "Distanz" glaube.

Kommende Jahrhunderte werden vielleicht zu einer objektiveren und distanzierteren Wertung unserer Verhältnisse kommen, auch ihnen wird es Wertung bleiben.

"Persönlich" meint aber nicht nur mich als Person, sondern auch die Personen, die ich in meinen Kritiken namentlich erwähnt und angegriffen habe. Ich glaube nicht an die Existenz von Ideen und Diskursen, außer, daß sie zu ganz bestimmten Umständen von bestimmten Personen verkörpert werden. Das heißt, sie stehen nicht nur mit ihrem Körper für diese Idee ein, sie nehmen eben für diese Ideen konret Platz weg und verbrauchen Resourcen. Alles fällt eben auf unsere Endlichkeit zurück. Sie bestimmt letztlich jede Auseinandersetzung, ob "persönlich" oder "objektiv". Wenn wir unendlich Zeit hätten, bräuchten wir auch keine Kritik

(Nebenbei: wenn es einen Gott gäbe, so würde er aus genau diesem Grund keine Menschen bestrafen.) Mit unserer Sterblichkeit sind auch die Ideen als außerzeitliche Gebilde gestorben.

Wenn ich also scheinbar im Kunstbetrieb nebensächliche Personen persönlich würdige, so dann, weil niemand anders als sie eben die zu kritisierende Idee verkörpern. Wenn sie nicht dafür einstünden, gäbe es die Idee überhaupt nicht. Das mag zwar im Einzelfall pedantisch anmuten, entspricht aber hinreichend der Methode Foucaults bestimmte Ideen auf einzelne Sprecher zu fixieren. (Im Seminar betrachten wir ja Äußerungen auch nur im Hinblick auf den Moment des Sprechaktes, sonst könnten wir ja, wie an der Uni, Bücher lesen und versuchen gemeinsam herauszubekommen, was Kant mit diesem oder jenem Satz gemeint hatte.)

Zwischen "persönlich" und "pauschal" besteht allerdings ein Unterschied. Ich mag zwar persönich schreiben, aber ich bleibe nicht beim pauschalen stehen, selbst wenn ich mal in einem Text eine Austellung als "dumm und platt" oder eine Idee "hirnverbrannt" bezeichne.

Mir geht es immer um eine möglichst präzise Beschreibung des von mit kritisierten Vorganges. Darüber hinaus veruche ich soweit als möglich zu beschreiben, was ich für die bessere Alternative halte.

Beispiel: "In der gegenwärtigen Lage kann leicht der Eindruck entstehen, als handele es sich bei Kunst und Kultur um einen sportlichen Wettkampf, in dem ein möglichst olympiareifes Team Hürden meistert, die ihm von geschickten Vermittlern gelegt werden, während es sich eigentlich um einen Prozeß der Selbstverständigung auf Ziele und Vorstellungen bewegt, der weder Sieger noch Verlierer kennt."

"Kunst hat mit Leistung nichts zu tun."

Was die Relevanz dessen angeht, worüber ich schreibe, bleibt abzuwarten. Es liegt in der Natur der Sache, daß ich nicht anders als im Schreiben schreiben kann, was ich für wichtig halte, und was nicht. Alles andere wäre Anmaßung.

Allerdings bestehen bezeichnender Weise gerade die, die ich als Personen bezeichnet habe, um so mehr auf persönlicher Wertung. Wenn mir ein Ausstellungsmacher auf die Frage, warum er die Arbeit des Künstlers X der der Künstlerin Y vorziehe, antwortet, er kenne den Künstler schon seit 15 Jahre und habe manches Bier mit ihm getrunken, dann stipulieren sie genau die Ebene, die sie mir unlängst zum Vorwurf gemacht haben.

Schließlich schließt aber ein Vorwurf wie "Neid" genau an der Stelle ab, an der es eigentlich interessant werden würde, doch wird mit dem "Neid" logisch nur als "unbegründeter Neid" zementiert. Dabei bleibt im reinen "Neid" noch erstmal unthematisiert, ob es sich auch um begründeten Neid handeln könnte.

Während ich zwar persönlich schreibe, aber hinter den Personen auch Gründe sehe und aufzudecken versuche, sehen diese umgekehrt keine Veranlassung hinter meiner Person auch Gründe zu vermuten. Es steht anscheinend bedingungslos fest, wie ich zu sehen sei. Natürlich braucht man dann auch keine Briefe an mich zu schicken.

Es wäre nun schön, wenn wir es dabei belassen könnten, daß jeder weiß, was z. B. Kasper König tut. Aber zwischen dem Wissen und dem Aussprechen scheint allerdings eine größere Lücke zu bestehen. Vielleicht ist das die Idee, wer weiß?

Ich persönlich habe kein Problem damit, hier zu schreiben, daß ich die Arbeit von Kasper König hier in Frankfurt nicht gut finde, zu eng, zu einseitig, zu unbegründet, aber, wenn es angeblich hier soviele auch wissen, warum schreiben oder sagen sie es nicht öffentlich? Weil es einer "objektiven" und "distanzierten" Betrachtungsweise bedürfte, die sie nicht haben, nicht haben können, weil sie vielleicht zu persönlich mit ihm involviert, also abhängig sind, um zu einer solchen Distanz zu finden. Kehrt es sich da nicht um, daß der Vorwurf der "Persönlichkeit" an mich nicht letztlich meint: zu "objektiv", zu "distanziert"?

(Der Anekdote willen, möchte ich noch "zu deutsch" einfügen. Ein Kollege meiner Schwester machte Praktikum in einer Pariser Anwaltskanzlei. Dort sollte er einen Fall unterbliebener Zahlungen bearbeiten. Wie er es aus seiner deutschen Praxis gewohnt war, setzte er ein Schreiben auf: Wenn sie meinem Mandanten nicht binnen 14 Tagen sein Geld geben, dann drohen wir ihnen mit dem Gericht. Als er diesen Entwurf seinem Chef zeigte, fiel der aus allen Wolken: Das kannst du so nicht machen, was soll der denn denken? Ruf doch mal an, verabredet euch doch mal zu Essen, redet doch mal miteinander.....)

 

(ca. 1996/1997)

 


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© The Thing Frankfurt 1996 « das seminar

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