Wir haben Thing Frankfurt 2010 auf eine neue Seite umgestellt. http://www.thing-frankfurt.de
Dies ist nun die alte Seite. Als Archiv 2003 - 2010.
Ihre Adresse lautet http://last.thing-frankfurt.de
Thing Frankfurt - Kunst, Kritik, neue Medien ausserhalb von Galerien und Institutionen seit 1992 Banner: multi.trudi artspace - a partner of Thing Frankfurt
New here?

Kunst, Kritik und neue Medien / Art, critique, new media Search | Sitemap | Imprint & Datenschutz | Contact 
General Info
Frankfurt Art
Locator
Media
Search
Donate
The Thing Seminar Banner   The Thing Seminar Banner
untergrund logo

Negativität der Kultur | 9.5.1996, Café Karin

kamillentee

Anwesend: Markus Halbe, Stefan Beck

Notizen:

» Seminar 01 - Nichts tun?

» Seminar 02 - Zielgerichtetes Nichts...

» Seminar 03 - Maschinen/Ästhetik?

» Seminar 04 - Kulturinstitutionen

» Seminar 05 - Darmstädter Manifest

» Seminar 06 - Hör zu oder stirb? I

» Seminar 07 - Negativität der Kultur

» Seminar 08 - Ein Desaster, das...

» Seminar 19 - nur bis zur Antike

» Seminar 10 - Zerschlagene Ohren

» Seminar 11 - Homo oeconomicus

» Seminar 12 - Various...

» Seminar 13 - Kapital. Wirklichkeit

» Seminar 14 - Über das Seminar

Markus: Wir sollten vielleicht mal genauer festlegen, was wir so lesen wollen.

Stefan: Ja, wir wollen doch den Lovink lesen, oder nicht?

Markus: Aber der Text ist nicht ohne Voraussetzungen; er macht z.B. Anleihen bei Derrida und Deleuze, und auch bei Adorno. Da lesen wir an der Uni gerade diesen Abschnitt über die Kulturindustrie. Sie hat sowohl die ernste wie auch die niedere Kultur derart in Beschlag genommen, daß Adorno pessimistisch davon ausgeht, daß nur die Herrschenden selbst von oben herab Veränderungen herbeiführen können.

Der einzelne, der Mann auf der Straße ist dazu gar nicht mehr in der Lage, weil die Kulturindustrie sein Situation schon vorweggenommen hat: wer von der Fabrik weg, nach einem 10 Stundentag, das Vergnügen, die Unterhaltung sucht, der landet wieder im Reich einer vorfabrizierten, mechanisierten Wirklichkeit, von ihrer Verfassung her nicht unähnlich der, die er eben noch verließ. Fließband- und Filmproduktion sind eins.

Stefan: Wo steht das?

Markus: Hier, auf Seite 160 (Horkheimer Gesamtausgabe)

Stefan (lesend): Was meint er denn mit "Negativität der Kultur"?

Markus: Das ist mir auch nicht so klar, vielleicht meint er den Warencharakter von Kunst? Oder er meint, daß Kultur im Ganzen nie angeeignet werden kann, gleich ob die höhere der niederen oder die niedere der höheren zugeschlagen wird.

Auf jeden Fall stellt er fest, daß Amusement Arbeit bedeutet. Und das, diesen Pessimismus, versuchen ja Leute wie der Lovink aufzubrechen.

Stefan: Inwieweit "aufbrechen"? Wenn es da ein Mega-Rave im Hessen-Center gibt, oder einen Mini-Club in der "Riz-Bar", was wird denn da "aufgebrochen"? Das ist doch nur Geschäftemacherei auf einer anderen Ebene. Die haben doch keinerlei dissidenten Anspruch, die wollen nichts verändern.

Markus: Seh ich ganz genauso. Der Loving geht aber natürlich ganz stark von der Radio-Praxis in Amsterdam aus, wie da Radio aus besetzten Häusern gesendet wird, ständig am Anschlag, im roten Bereich, möglichst viel Rauschen und Störgeräusche, so hörerunfreundlich wie möglich.

Die senden irgendwelche gefundenen Platten, die sie morgens auf dem Sperrmüll aufgelesen haben, die werden abend dann kommentarlos ausgesendet. Darin sieht er einen Versuch das herrschende Kommunikationssystem ins Wanken zu bringen.

Stefan: Das find ich auch nicht falsch. So machen wir, Augst & Beck, es genauso. Das ist unser Radioansatz.

Markus: Aber welche Optionen hast Du?

Stefan: Nun ich sehe meine Praxis, warum ich das hier tue, so, daß niemand sagen kann, es wäre nicht gesagt worden. Zumindestens habe ich es hier mal dokumentiert.

Markus: Ob das reicht? Das ist so typisch 70er Modell von Gegenöffentlichkeit, das Krebsmodell; wenn jeder in seinem persönlichen Bereich das macht, was er tun kann, dann breitet es sich vielleicht langsam wuchernd aus, bildet hier und dort kleine Zellen, die sich vielleicht vermehren, größer werden und so Einfluß auf einer Gesellschaftsveränderung nehmen.

Dieses Modell hat sich in den 80er, auch unter dem Einfluß von Foucault und Deleuze, ja stark gewandelt. Sie sagten, mach das, was Du bisher getan hast, aber nenn es nicht mehr politisch. Dann bietest Du den Mächtigen weniger Angriffsfläche, dann wissen sie nichts mit Dir anzufangen und lassen Dich in Ruhe.

Stefan: So wie Arosa 2000, die machen nur ihr Ding und verzichten darauf sich irgendwie einzuordnen?

Markus: Das ist ja von der Linken unter Beschuß genommen worden. Die haben solche Art von "Maulwürfen" ausgegraben und als "politisch" denuniziert, worauf die Herrschenden dann hingehen konnten und diese dann bekämpfen.

Stefan: Versteh ich nicht, was das soll. (Zeichnung)

 

polit

Markus (Zeichnung): Wir haben hier so eine Gruppierung, die ist durchsichtig, da geht der Herschaftswille der Mächtigen einfach durch. Und dann kommen irgendwelche Linksradikale und nennen die "politisch", das ist wie als würde sich nun eine festere Hülle um das Gebilde legen, die es gleichzeitig zum Angriffspunkt der Mächtigen machen würde. Was ich aber will, ist das die sich von sich aus öffnen und "politisch" nennen und eine Position in Bezug auf die Mächtigen einnehmen.

  Stefan: Mein Anspruch dabei ist, und das bezieht sich nochmals auf unser Thema "Underground", daß ich davon ausgehe, daß es in Frankfurt keinen Underground gibt, jedenfalls nicht im Sinne einer dissidenten Tendenz, von der Miller spricht, was ich ja schon sehr vorsichtig formuliert finde.

Also, eine dissidente Tendenz kann ich hier nirgends entdecken, das sind eher Geschäftemacher, die etwas abseits des breiten Business agieren und dadurch Ärger bekommen - viel zu viel Ärger als ihnen eigentlich zustünde - ;

Was ich sagen möchte ist, daß die Leute, die da in solche Clubs und andere Off-Veranstaltungen gehen, gewisse ästhetische Optionen verfolgen, und diese ästhetischen Optionen haben, bewußt oder nicht, etwas politisches, weil sie den herrschenden Meinungscode ins Wanken bringen. Sie sind eine Herausforderung, die auch nicht durch Ignoranz zu umgehen ist, denn auch Nicht-Kommunikation ist Kommunikation.

Das predige ich ja schon lange, wenn jemand ein Bild malt, dann greift er damit den herrschenden Formenkanon an, weil der das neue Bild ja irgendwo unterbringen muß, und sei es, daß er es als Scheiße titutliert. Denn wir leben ja längst in einer Zeit, in der nichts einzelnes mehr für sich stehen kann, die Bilder stehen im Museum, die Bücher in der Bibliothek, die Tonaufnahmen im Archiv.

Jedes Bild ist automatisch "im Museum" gemalt, in jenes Verzeichnis, das sich aus purer Tradition noch "Museum" nennt, meinetwegen aber auch "Maggi-Kochstudio" heißen könnte. Deswegen erzeugen auch die Club-Gänger ein ästhetisch-politisches Präferenzfeld, auf dessen Vorhandensein ich sie mit solchen Veranstaltungen, wie "das seminar" aufmerksam machen möchte. Sie sollen merken, daß sie auch politisch handeln können.

Markus: Also, es zielt auf Aufklärung ab. Das ist auch mein Ansatz. Das ist so ein wenig "baudrillardsch", KOOL KILLER, durch wild wuchernde Zeichen das herrschende Codierungssystem ins Wanken bringen.

Stefan: Da sagte nach der Diskussionsveranstaltung am Montag ein Mädchen zu mir: "Ich glaub die [Politiker] sind ganz verwirrt, die suchen die ganze Zeit danach, das jemand etwas politischtes macht, dabei können die gar nicht verstehen, daß wir nur unseren Spaß haben wollen."

Markus: Ha, ha, ne, das können die nicht verstehen.

Stefan: Aber wie ist es dahin gekommen? Ich meine "temporäre autonome Zone" das klingt wie mein früheres Kinderzimmer. Da konnte ich auch tun und lassen was ich wollte, bis dann Freitags die Putzfrau kam und ich alles aufräumen mußte, nur um sehnlichst darauf zu warten, wieder von neuem die größte Unordnung herzustellen.